BDRhauptstadtFORUM am 10. Mai 2021 in digitaler Form

11. Mai 2021

Das Thema "Justiz und Digitalisierung - wie bereit ist die Justiz für die digitale Welt?" diskutierten im dbb forum berlin unter der Moderation von Rechtsanwalt Dr. Christian Strasser, München, Ulrich Silberbach (dbb Bundesvorsitzender), Basanta Thapa (fraunhofer), Dr. Ralf Köbler (EDV-Gerichtstag) und BDR Bundesvorsitzender Mario Blödtner.

Nach der Begrüßung durch den  Mario Blödtner bezeichnete Moderator Rechtsanwalt Dr. Christian Strasser, München, in seinen einführenden Worten die  Rechtspfleger als „das starke Rückgrat der Justiz“. Die Justiz sollte Vorreiter in der Digitalisierung sein. Zeugeneinvernahmen mittels Videotechnik in streitigen Verfahren seien aber wohl eher ein „Marketing Gag“. Hinter den Kulissen arbeiteten die Beschäftigten mit teils veralterter EDV-Technik und Fachverfahren. Die Papierakte und fehlende Technik verhindere das mobile Arbeiten.

Dr. Ralf Köbler, Präsident des EDV-Gerichtstags, ließ sich von seinem Landgericht Darmstadt zuschalten und forderte, die e-Akte müsse mehr als die digitalisierte chronologische Akte sein.

Als Problem allseits erkannt wurde, dass gute IT-Kräfte fehlen, die auf dem Markt nicht zu bekommen seien für das, was der Staat leiste. Der dbb Bundesvorsitzende Uli Silberbach erkannte ein eklatantes Versagen der politisch Verantwortlichen. Bei den derzeitigen demographischen Bedingungen müsse der Staat auf dem Arbeitsmarkt um die besten Kräfte streiten, ohne aber die besten Konditionen zu bieten.

Weiter zugeschaltet war Basanta Thapa, Verwaltungswissenschaftler vom Fraunhofer Institut. Er sah überall die gleichen Herausforderungen, die in Deutschland durch den Föderalismus verstärkt würden. Der Fachkräftemangel wirke sich noch schlimmer aus, wenn jeder sein eigenes Süppchen koche und neben der Verwaltung auch die Justiz eigene Speziallösungen bedürfe. Länder, die Prozesse neu denken und zentrale Plattformlösungen schaffen, seien jetzt im Vorteil. So sei zB in Estland ein Bündel von IT-Protokollen aufgebaut worden, wie Verwaltungen untereinander Daten austauschen. Nur so entstünden echte Vorteile aus der Digitalisierung und nicht nur neue Kopfschmerzen.

Die Justiz ist zwar unabhängig und in der Software-Entwicklung selbständig, aber finanziell abhängig von den jeweiligen Landesgeldgebern, zB für Personalkosten und Baumaßnahmen. Dr. Ralf Köbler bestätigte dieses Abhängigkeitsverhältnis und bezeichnete das geltende Haushaltsrecht als Riesenproblem. Unter www.justiz.de würden alle möglichen Dienstleistungen der Justiz aufgelistet, die aber Geld kosteten und das Budget für die e-Akte schmälerten. Bei den Finanzministerien müsse man stets als Begründung für Investitionen zukünftige Einsparmöglichkeiten angeben. Das sei falsch und unrealistisch, da bei Projekten nichts eingespart werden könne und die Personalsituation bereits jetzt angespannt sei. Dazu müsse Fach-Know-how von IT-Unternehmen teuer eingekauft werden.

 Uli Silberbach meinte, die Politik wolle nicht mehr wahrhaben, dass Deutschland ein Rechtstaat sei und die Justiz deshalb so ausgestattet sein müsse, dass wir unsere Aufgaben auch wahr nehmen können. Der Bundesgesetzgeber erlasse ständig neue Gesetze, statte aber die Bereiche, die das vollziehen sollen, nicht mit ausreichend Personal aus. Es brauche mehr Drive für das Personal und die e-Akte, es gäbe viel zu wenig Qualifizierung im öffentlichen Dienst, man brauche aber Fachleute zum „laufen lernen“.

Der Verwaltungswissenschaftler Thapa bezeichnete zentrale Infrastrukturen als dringend notwendig.. Es brauche einen gemeinsamen Dienstleister im Hintergrund, der benutzerfreundliche Oberflächen entwickele und garantiere, dass die digitalen Werkzeuge funktionieren.

Das Justizpersonal bezeichnete Mario Blödtner als sehr gut ausgebildet für das was wir tun müssen. Die Digitalisierung sei aber Neuland. Schon die von IT-Firmen geforderte Dokumentation, was wir wollen, sei für juristisches Personal teilweise schwierig zu liefern.

Die derzeitige Arbeitssituation der Rechtspfleger bezeichnete Mario Blödtner als schwierig. Sie seien vor Ort für den Publikumsverkehr erforderlich. Versuche, Präsenzen zu entflechten, stießen mangels technischer Ausstattung schnell an Grenzen. Da die e-Akte und damit die digitalen Informationen fehlten, könne die Arbeit derzeit mobil nicht erfüllt werden, bekräftigte Uli Silberbach. Auch die Benutzung privater Geräte verstoße schnell gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen.

Dr. Köbler verwies auf den unterschiedlichen Stand in den Bundesländern. Es seien teilweise ungeheure Fortschritte mit Vertrauensarbeitszeit für das mobile Arbeiten erreicht worden, die e-Akte fehle aber.

Basanta Thapa forderte, die Kosteneinsparung dürfe nicht die Motivation für Digitalisierung sein. Man solle besser überlegen, wie die Arbeit dadurch für die Bediensteten und die Bürger angenehmer und effizienter werden könne. Es solle in Qualität und Transparenz investiert werden. Auch das Bild des Bürgers habe sich seit der Zeit im alten Preußen verändert. Es dürfe nicht nur ein jahrhundertealtes System ins digitale übertragen werden, sondern es müsse neu gedacht werden, zB könne die Verfahrenstransparenz durch eine Art „digitale Nachverfolgung des Antrags“ erhöht werden.

Kein Diskussionspartner zeigt davor Scheu. Dadurch könnten unnötige Sachstandsanfragen und Dienstaufsichtsbeschwerden vermieden und fehlendes Personal würde sichtbar werden. Uli Silberbach bekräftigte die Beschäftigten wollten ja bürgerfreundliche und vernünftige Dienstleistungen erbringen, das müsse aber machbar sein. Es brauche intelligente Eingabemöglichkeiten für die Bürgerabfragen, um Synergieeffekte zu erzielen. Laut Dr. Köbler wäre es ein Ziel, dass der Antragsteller die Daten so bei Gericht einreiche, dass sie im Justizsystem dargestellt und weiterverwendet werden können.

Um in angemessener Zeit die Arbeit bewältigen zu können, brauche es entweder mehr Personal oder bessere Geschäftsprozesse. Auch Mario Blödtner erblickte hierin den richtigen Ansatz: durch Aufgabenübertragungen könnten Abläufe verschlankt werden. Das dadurch ersparte Geld könne in Infrastruktur investiert werden.

Dem dbb Bundesvorsitzenden nach könne durch den Einsatz von Algorithmen und KI für Routinearbeiten mehr Personal für die Bewältigung der Menge an Arbeit zur Verfügung stehen.  KI vernichte keine Arbeitsplätze, sondern sei hilfreich in Kombination mit mehr Personal zur Erfüllung der Aufgaben. Basanta Thapa meinte, mit KI sollten keine Entscheider ersetzt werden, es gehe auch nicht um selbstlernende Systeme. Geschäftsprozesse sollten aber intelligenter gedacht werden, so dass einfache Fälle mittels intelligenter Masken erledigt werden könnten. Es solle statt KI besser unkritische Technik wie regelgebundene Automatisierungsverfahren genutzt werden. für Entscheidungen seien laut Blödtner weiter gut ausgebildete Menschen, die die Entscheidung auch verantworten, nötig.

Auf die abschließende Frage, wo wir in 5 Jahren stehen werden, zeigte sich Mario Blödtner skeptisch, dass dann das neue Fachverfahren GeFa und die e-Akte fertig seien. Optimistischer war Dr. Köbler, der die e-Akte dann sah, wenn auch vielleicht noch nicht alle Wünsche erfüllt werden konnten. Verhalten optimistisch zeigte sich Basanta Thapa, der derzeit viele Schrauben sich lösen sieht, die geklemmt haben. Es sei viel Bewegung im System. Er fragte sich aber, ob dies auf die Justiz abstrahlt oder die Justiz zurückfällt oder aber sie dem Rest der Verwaltung zeige, wie man es machen müsse.

Uli Silberbach forderte, dass sich die Politik zu unserem Rechtsstaat bekenne und damit ausreichend Personal zur Verfügung stelle. Er fürchtete aber, dass eher in Flugtaxis als in die Basics investiert würde. Er erwarte von dem nächsten Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zur Justiz und zur inneren Sicherheit.

In seinem Schlußwort forderte Dr. Strasser alle Beteiligten auf: „Bleiben sie lästig“.